Psychologisches Sonntags-Häppchen Nr. 67
Thema Selbstwert: Wertschätzung ist gut für die Gesundheit
Weil Wertschätzung so wichtig ist, nehme ich dieses Thema nochmals auf. Anne Katrin Matyssek hat der Wertschätzung ein ganzes Buch gewidmet. Es heisst „Wertschätzung im Betrieb. Impulse für eine gesündere Unternehmenskultur“ (2011). Matyssek beschreibt Wertschätzung folgendermassen: „Einen Menschen in seinen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Leistungen wahrnehmen, das Positive an ihm entdecken und in ihm wecken – die wohlwollende Betrachtung des anderen in seiner Einzigartigkeit, das ist Wertschätzung.“
Sie hat aus verschiedenen bestehenden Studien über die Gesundheitsprävention die Wirkung der Wertschätzung zusammengetragen:
- Sie tut dem Herzen gut – weniger Herzinfarkte: Gratifikationskrisen erhöhen das Risiko eines Herzinfarkts. Wertschätzung verhindert Gratifikationskrisen (wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie sich nach besten Kräften für die Firma einsetzen und dafür keine – oder nicht genug – Anerkennung erhalten, dann geraten sie in eine sogenannte Gratifikationskrise).
- Sie wappnet vor allem Männer vor Depressionen. Worte der Anerkennung schützen vor Gefühlen der Hilflosigkeit, sie stärken die Seele.
- Sie setzt wichtige neurobiologische Stoffe frei: Wenn sich ein Mensch anerkennt fühlt, wird Dopamin freigesetzt. Dies erhöht die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Zusätzlich werden Glückshormone (Endorphine) sowie das Vertrauens- und Bindungshormon Oxytozin ausgeschüttet. Oxytozin bewirkt einen niedrigeren Blutdruck und schafft ein Gefühl der Entspannung.
- Sie reduziert Ängste. Derjenige, welcher Wertschätzung erfährt, fühlt sich bestätigt und sicher. Die Furcht, Fehler zu machen, lässt nach — das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst. Ein angstfreies Klima ist eine wichtige Voraussetzung, um gute und kreative Leistungen zu erbringen.
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Thema Selbstwert: Wertschätzung erleben und geben
Wer mit sich selbst, so wie er ist, zufrieden ist – sprich: einen positiven Selbstwert hat – ist stressresistenter als der, welcher ständig an sich herumnörgelt. Wertschätzung erleben — am besten vom ersten Tag der Zeugung an — ist ein wichtiger Nährstoff für einen positiven Selbstwert. Wertschätzung ist demnach ein wertvolles Gut.
Die Sache mit der Wertschätzung ist aber die, dass ich sie mir nicht einfach holen kann. Ich kann es mit „fishing for compliments“ versuchen – meinem Gegenüber ein Kompliment an meine Adresse entlocken. Diese Kunst liegt nicht jedermann. Ich kann aber meinen inneren Radar für an mich gerichtete wertschätzende Worte gut einstellen und — ebenfalls wichtig — erhaltene Wertschätzung innerlich würdigen, damit mein Selbstwert sich davon nähren kann. Was aber ganz und gar in meiner Hand liegt, ist meinem Gegenüber Wertschätzung auszudrücken. Dies passiert bereits in kleinen Gesten: Aufmerksam zuhören, Interesse am anderen zeigen, positives Feedback geben, ein unaufdringliches freundliches Lächeln schenken, ein Kompliment machen, eine unerwartete Freundlichkeit bereiten. Diese Verhaltensweisen teilen dem Gegenüber mit: „Ich habe dich (und dein Verhalten/deine Leistung) wahrgenommen“. Wenn wir alle dies häufiger tun würden, wäre Wertschätzung immer noch kostbar, darüber hinaus häufiger erlebbar.
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Thema Selbstwert: belohnen — ermutigen
Belohnen und ermutigen — diese zwei Verhaltensweisen gehen in die gleiche Richtung: Sie fördern die Motivation. In ihrem psychologischen Inhalt und in ihrer Wirkung sind sie aber keineswegs so identisch, wie es auf Anhieb erscheint.
Man belohnt jemanden (die eigene Person inbegriffen), wenn etwas ganz Bestimmtes mit Erfolg abgeschlossen wurde. Als Belohnung wird häufig Geld eingesetzt, sei es bar oder indem man der Person, die belohnt wird, etwas kauft, das je nach Interesse und Geschmack einen positiven Wert verkörpert. Wie die Begeisterung und das Interesse an einem neuen Spielzeug bei einem Kind nach recht kurzer Zeit nachlässt, verliert eine Belohnung rasch die motivierende Wirkung. Eine Belohnung motiviert für die Ausführung eines bestimmten Verhaltens aufgrund äusserer Faktoren (extrinsische Motivation) und nicht aufgrund von positiven Werten, welche das Verhalten selbst beinhaltet (intrinsische Motivation). Belohnen und bestechen liegen manchmal eng beieinander.
Jemanden ermutigen (die eigene Person inbegriffen) bezieht sich oft auf eine in naher Zukunft liegende Aufgabe, die den betreffenden Menschen in gewisser Art und Weise herausfordert. Man spricht dieser Person für die Bewältigung der gestellten Aufgabe Kraft und Selbstvertrauen zu. Man glaubt an sie: „Du bist fähig, die Aufgabe mit einem positiven Resultat auszuführen“. Ich kann mich selber ermutigen — indirekt, indem ich in meinem Inneren ein gutes Klima schaffe. Ich vertraue meinen Fähigkeiten, indem ich mir etwas zutraue. Zu diesem positiven inneren Klima passt ganz und gar nicht, dass ich die eigene Person mit ihren Fähigkeiten hinterfrage. Ich kann mich auch direkt ermutigen, indem ich bei einer Aufgabe, die mehrere Schritte enthält, den ersten positiv verlaufenen Schritt würdige „das habe ich super gemacht“ und mir nicht erst ganz am Schluss – wenn sämtliche Arbeit erledigt und das Ziel vollumfänglich erreicht ist — auf die Schulter klopfe. Beim Ermutigen hat es Platz für Misserfolg. Ich kann mich ermutigen, auch wenn ich einen Fehler gemacht habe, oder wenn ich etwas nicht optimal habe ausführen können. Gerade in diesen Momenten kann Ermutigung sehr wichtig sein. Belohnung und Applaus gibt es nur bei Erfolg. Ermutigung erhöht das Gefühl der Selbstachtung. Sie kann das innere Wachstumspotential eines Menschen aktivieren und fördern, ebenso die innere Haltung „ich bin okay“ und „ich kann“.
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Thema Selbstwert: Eigenlob stinkt nicht — mach dir selbst immer wieder mal ein Kompliment
„Eigenlob stinkt“. Ein Satz, den ich aus meiner Kindheit immer noch irgendwo in meinem Repertoire habe. Sich selber loben, insbesondere vor anderen Menschen, das macht man nicht, das hat ein übler Nachgeschmack, andere dürfen mich loben, mir selbst steht das nicht zu. Wir Schweizer prahlen nicht – das tun andere. Wir sind bescheiden. Lieber das Licht unter den Scheffel stellen. All das sagt dieser Satz “Eigenlob stinkt” zwischen den Zeilen. Sich selber loben ist quasi unanständig. Anstandsregeln sind aus psychologischer Sicht häufig fragwürdig. Sie geben für sozial angepasstes Verhalten zwar Orientierung, setzen aber häufig unangemessene Grenzen, wenn man sie generalisiert, das heisst undifferenziert anwendet.
Das Wort „loben“ benutzt man heute eher selten. Heute sagt man eher „ein Kompliment machen“. Damit drückt man seine Wertschätzung und sein Gefallen für ein bestimmtes Verhalten aus. Ist es unanständig oder unangemessen, wenn ich mir ein Kompliment mache, indem ich mir selbst und anderen gegenüber bewusst ausdrücke „das war super, ich bin sehr zufrieden mit mir!“? Wohl kaum. Es ist ein Ausdruck der eigenen Selbstachtung und Wertschätzung. Psychologisch gesehen etwas sehr Wichtiges und Wirkungsvolles. Sich selbst zu loben ist für den Selbstwert mindestens so nachhaltig wie ein Selfie, das auch ein Ausdruck der eigenen Selbstachtung und Wertschätzung ist. Ist es unangebracht und schickt es sich nicht, wenn Nadine, die vor kurzem eine neue Arbeitsstelle angetreten hat, ihrer Freundin folgendes sagt: „ Heute hat mich die Arbeitskollegin, von welcher ich dir neulich erzählt habe, wieder gehörig provoziert. Ich blieb sachlich, bot ihr Paroli und blieb innerlich ruhig. Dass ich so reagieren konnte, hat mich sehr gefreut.“ Diese Aussage ist weder ein Prahlen, noch ein Bestätigung-Suchen, noch ein „fishing for compliments“, sondern ein Kompliment an die Adresse der eigenen Person.
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Thema Selbstwert: Ich bin ein Unikat – nicht besser und nicht schlechter als andere, sondern gleichwertig
Jeder Mensch ist einzigartig. Ich habe noch keinen anderen Menschen getroffen, der genau gleich aussieht wie ich. Auch was Denken und Fühlen anbetrifft ist mir noch niemand begegnet, der gleich „tickt“ wie ich. Man sagt: „Vergleiche nicht Äpfel mit Birnen!“ Menschen, die ihren Wert, mit dem Wert anderer Menschen vergleichen, tun genau das: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Welche Absicht könnte dahinter stecken?
- Sich überlegen fühlen: Dies ist nicht schwer. Man findet immer jemanden, der in der spezifischen Fertigkeit, die man als Massstab auswählt, weniger gut ist als man selbst.
- Sich unterlegen fühlen. Auch das ist nicht schwer. Man findet immer jemanden, der besser ist. Wenn man unterlegen ist, ist das manchmal ein gutes Argument, gewisse Dinge nicht machen zu wollen, da man sich dazu nicht fähig fühlt. Man weicht aus, Verantwortung zu übernehmen.
Gleichwertigkeit: Gesellschaftliche Werte kann man nicht messen oder „beweisen“. Es sind Haltungen/Einstellungen. Sie sind hilfreich in Bezug auf die Meinungsbildung und das Handeln. Sich als gleichwertig zu betrachten, ist psychologisch zu empfehlen: Man fühlt sich dann weder überlegen (ist dem so, dann gehen die anderen mehrheitlich auf Distanz), noch unterlegen oder gar minderwertig (ist dem so, dann habe ich eine schlechte emotionale Ausgangslage). Bin ich gleichwertig, so geschieht eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe. Eine Kette ist ein gutes Bild für die Gleichwertigkeit. Jedes Glied ist genau gleich massgebend für deren Spannkraft.
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Thema Selbstwert: Wann sind Selbstwertkonzepte schädlich?
Bin ich wertvoll? Zur Beantwortung dieser Frage benutzt der Mensch Regeln, Kriterien und Bedingungen, anhand derer er die eigene Wertigkeit bestimmt. Sie bilden sein «Konzept», also den Rahmen, um seinen Selbstwert zu evaluieren und zu bilden.
Selbstbewertungen und Selbsteinschätzungen sind grundsätzlich etwas Normales. Der Mensch versucht durch Selbsteinschätzung seinen Rang innerhalb der Bezugsgruppe zu bestimmen. Es gibt aber Selbstwertkonzepte – wie gesagt: Regeln, Kriterien und Bedingungen – die für den Aufbau eines gesunden Selbstwertes alles andere als nützlich sind. Eine Bewertung, die sich nur auf ein bis zwei Kriterien abstützt, berücksichtigt nur einen sehr begrenzten Lebensausschnitt. Sie ist deshalb wenig differenziert, sondern ist pauschal und generalisiert. Pauschalisierende Bewertungen stützen sich oft auf innere, seit Kindheit „eingefleischte“ Haltungen. Beispiele: „Wer mehr weiss, ist besser“, „Wer Schwäche zeigt, ist ein Verlierer“, „Wer abgelehnt wird, hat keine Zukunft“, „Wer Fehler macht, taugt zu nichts“. Problematisch sind Kriterien, die nicht stabil sind, Paradebeispiel hierfür ist die Schönheit. Schönheit ist vergänglich. Ein Selbstwert, der sich darauf abstützt, wird im Alter zum Problem. Versuchen wir den Selbstwert durch Anerkennung und Beliebtheit zu festigen, besteht die Gefahr, dass wir uns langfristig von anderen abhängig machen. Ausserdem wird Anerkennung nicht immer ausgesprochen oder gezeigt. Wer seinen Selbstwert durch Leistung definiert, wird viel Zeit und Energie investieren müssen, um diesem Massstab genügen zu können. Er/sie wird darauf bedacht sein, möglichst keinen Fehler zu machen. Problematisch ist auch der Vergleich mit anderen Menschen: «Nick ist viel sportlicher wie ich, er hat auch einen besseren Job». Jeder Mensch ist ein Unikat. Vergleicht man sich mit jemand anderem, so vergleicht man stets «Äpfel mit Birnen».
Wer sich schriftlich eine Art „Selbstwertbilanz“ erstellen will, kann sich von Anja, einer 17-jährigen jungen Frau, inspirieren lassen. Sie hat ihre Bilanz mit folgendem System gemacht: „Ich habe keinen Freund, das empfinde ich als negativ und dies mit einer Wichtigkeit von 100%; Ich habe zwei gute Freundinnen (positiv, 80%); ich bin zu dick (negativ, 75%), ich bin strebsam, setze Ziele um (positiv, 75%); beim Essen habe ich zu wenig Selbstdisziplin (negativ, 60%); mein Lachen und mein Humor (positiv, 60%); meine Freude an Tieren und an der Natur (60%) … Anjas Selbstbeurteilung ist klug: Sie ist nach einzelnen Gesichtspunkten differenziert, realitätsgerecht und nicht pauschalisiert, weil sie nicht den gesamten Selbstwert von einem einzelnen Kriterium abhängig macht.
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Thema Selbstwert: Ein gesunder Selbstwert ist wie ein Schutzschild
Eine der bedeutsamsten Meinungen, die wir bilden, ist diejenige, die wir über uns selbst aufbauen. Sie bestimmt unseren Selbstwert. Je besser der Selbstwert, desto gesünder verläuft die seelische Entwicklung. Ein gesunder Selbstwert wirkt wie ein Schutzschild. Kritik und Misserfolg werfen uns nicht so leicht aus der Bahn. Er versorgt uns mit Kraft, Energie, Stärke und der Fähigkeit zur schnellen Regeneration bei einem Rückschlag. Deshalb ist der Selbstwert ein wichtiger Teil des Immunsystems der Seele. Was ist ein guter Selbstwert? Was enthält er, so dass er als Schutzschild wirkt?
Ein gesunder und angemessen ausgeprägter Selbstwert besteht aus folgenden Komponenten:
- Eine positive Einstellung zu sich selbst: Ich bin im Grossen und Ganzen zufrieden mit mir. Ich gehe wertschätzend mit mir um, ich klopfe mir auf die Schulter, wenn ich glaube, dass ich etwas gut gemacht habe. Ich bin gerne mit mir zusammen, ich schätze Zeiten, wo ich mit mir alleine bin.
- Eine positive Einstellung zu eigenen Fähigkeiten und Leistungen: Es gibt Dinge, von denen ich glaube, dass ich sie gut kann. Ich traue mir einiges zu, ich verfüge über ein gutes Selbstvertrauen. Ich glaube, dass ich in der Lage bin, mit meinen Handlungen etwas im positiven Sinne zu bewirken. Wenn mich jemand nach meinen Erfolgserlebnissen fragt, so kann ich ohne lange zu studieren, einige aufzählen. Ich kann auch im Alltag und nicht nur bei wichtigen Ereignissen Erfolge erleben.
- Die Beziehungen, die ich zu anderen Menschen habe, nehme ich positiv wahr: Ich erlebe mich als Person, die mit Menschen umgehen kann, Kontakte knüpft und nachhaltig pflegt und wenn nötig auch auf Distanz gehen kann. Ich fühle mich eingebunden in eine mich erfüllende Partnerschaft und befriedigende Familienbeziehungen. Ich habe Freunde/Freundinnen, auf die ich mich verlassen kann.
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Thema Selbstwert: Das Werturteil über die eigene Person ist keine leichte Sache
Bei den kommenden Blogs geht es um den Selbstwert. Der Selbstwert ist der Wert, den eine Person sich selbst zuschreibt. Es ist eine subjektive Bewertung.
Die Frage nach dem Wert einer Sache ist uralt. Sie wurde nicht erst mit der Einführung des Geldes gestellt, sie war bereits beim Tauschhandel zentral. Der Mensch ist eigentlich keine Sache, trotzdem stellt sich jeder wiederholt im Leben mehr oder weniger bewusst die Frage nach seinem eigenen Wert. Wertlos und dementsprechend nutzlos sein, das will kein Mensch — unter keinen Umständen! Doch wie bestimme ich meinen Wert? Ich trage kein Preisetikett. Mein Wert wird auch nicht an der Börse gehandelt. Bin ich wertvoll? Zur Beantwortung dieser Frage benutzt der Mensch Regeln, Kriterien und Bedingungen, anhand derer er die eigene Wertigkeit bestimmt. Die Psychologie spricht vom Selbstwertkonzept, das ein Mensch aufstellt, um seinen Selbstwert zu evaluieren und zu bilden.
Vom ersten Lebenstag an sucht das Kind Resonanz auf sein Dasein. Das eigene Kind bedingungslos zu lieben, ist wahrscheinlich das Ziel aller Eltern. Das ist nicht immer so einfach. Im hektischen Alltag erlebt das Kind wahrscheinlich häufig, dass es positive Resonanz erlebt, wenn es folgsam ist — im Sinne, dass es das macht, was die Eltern von ihm erwarten. Daraus ergibt sich ein mögliches Wertkriterium: Wertvoll sein, gut sein = brav sein, folgsam sein. In der Schule erhält das Kind für das, was es leistet, Noten. Diese bieten sich bestens als Messkriterium für den eigenen Wert an: Wertvoll sein, gut sein = gute Noten in der Schule. Für Jungs spielt es meistens eine Rolle, wie stark, wie schnell und wie gut sie im Sport sind. Für Mädchen ist es häufig wichtig, dass sie beliebt sind. Viele Freundinnen haben ist ein Zeichen, dass mich die anderen mögen. In der Pubertät rückt das Aussehen in den Vordergrund, bei den Mädchen stärker als bei den Jungs. Wenn man sich beim Anblick in den Spiegel einigermassen mag, ist der Selbstwert okay — noch besser ist, wenn die Blicke des anderen Geschlechts einem das gute Aussehen bestätigen.
Als psychologischer Berater frage ich im ersten Gespräch häufig auch nach den Interessen, Hobbies und Stärken meines Gegenübers. Den meisten fällt es leicht, über ihre Interessen und Hobbies zu erzählen. Auf die Frage ihrer Stärken wissen viele kaum etwas zu sagen und kommen in Verlegenheit. Ich bin überzeugt, würde ich danach fragen, was für sie schwierig ist und ihnen Mühe bereitet, fiele ihnen die Antwort um einiges leichter. Diese Frage lasse ich bewusst weg. Diese Situation zeigt mir, dass im Selbstbild, das man von sich innerlich macht, die sogenannten Schwächen bei vielen mehr Raum bekommen als die Stärken. Was hat dies mit dem Selbstwert zu tun? Das Selbstbild ist eine wichtige Quelle für dessen Bestimmung.
Ein Werturteil über die eigene Person zu fällen, ist eine problematische Angelegenheit. Es verwundert nicht, dass Selbstwertprobleme mit Abstand die grösste Gruppe emotionaler und psychischer Probleme sind, die Menschen im Laufe des Lebens zu schaffen machen. Ca. 80% der Patienten in ambulanter Psychotherapie oder Beratung leiden darunter.
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Thema Emotionen: Der Verstand kann helfen, Emotionen zu regulieren
Wir sind Emotionen nicht immer machtlos ausgesetzt. Wir können mittels Gedanken, Entscheidungen und daraus resultierendem Verhalten emotionales Erleben steuern:
- Anja ist „nahe am Wasser gebaut“ – es braucht nicht viel, dass sie zu weinen beginnt. Ihr ist dies jedesmal sehr peinlich, sie schämt sich. Sie vermeidet das Schamgefühl beim Weinen, wenn ihr folgende Neubewertung gelingt: Weinen in Gegenwart anderer Menschen ist nicht unangebracht, sondern erlaubt und ist für mich hilfreich, denn nach dem Moment des Weinens bin ich wieder offen und frei, das begonnene Gespräch weiterzuführen. Strategie: ein Verhalten, das mich emotional in Schwierigkeiten bringt, anders, das heisst positiv bewerten (kognitive Neubewertung).
- Raffael kommt spät am Abend völlig erschöpft und niedergeschlagen nach Hause. Nach einem sehr anstrengenden Arbeitstag ging er noch einkaufen und traf sich danach mit Kollegen zu einem späten Feierabendbier. Er konnte am Gespräch gar nicht richtig teilnehmen und fühlt sich, als er zu Hause ankommt, minderwertig. Dieses Erlebnis macht er nicht zum ersten Mal. Strategie: Ich kann mich je nach Befinden/Stimmung entscheiden, gewisse Situationen, von denen ich weiss, dass sie mir aktuell nicht gut tun, gezielt zu meiden (Situationsauswahl). Für Rafael heisst das: Wenn er ermüdet ist, sich nicht mit Kollegen zu einem Feierabendbier treffen. Aufgepasst: Wenn wir ständig aus Angst bestimmte Situationen meiden, so ist dies kontraproduktiv.
- Der Termin beim Zahnarzt ist für Stefan jedes Mal sehr unangenehm. Er ist sehr schmerzempfindlich. Er hat vor kurzem den Zahnarzt gewechselt. Der neue Zahnarzt ist nicht mehr ruppig, sondern sehr freundlich. Ausserdem hat es im Wartezimmer interessante Zeitschriften. Das Warten auf den unangenehmen Moment ist so erträglicher. Strategie: Dort, wo Spielraum besteht, die Situation so angenehm wie möglich gestalten (Situationsmodifikation).
- Stefan hat noch etwas anderes herausgefunden, was den Zahnarzttermin erträglicher macht: Anstelle, dass er gebannt auf den Bohrer schaut, der sich seinem offen aufgesperrten Mund nähert, schliesst er die Augen und ruft innere Bilder seiner letzten wunderschön erlebten Ferien ab. Strategie: Die Aufmerksamkeit auf emotional positive Inhalte lenken (Aufmerksamkeitssteuerung).
- Melanie ist wütend und traurig. Ihr Chef hat sie in einem Meeting vor allen anderen kritisiert und fertig gemacht. Gleich nach Arbeitsschluss ruft sie ihrer besten Freundin an und erzählt ihr, was vorgefallen war und wie sie sich nun fühlt. Strategie: Eine unangenehme emotionale Reaktion mit Hilfe eines Gespräch oder einer sehr angenehmen Tätigkeit (Musik hören, spazieren gehen, etwas Feines essen …) zu modulieren suchen (Modulation der emotionalen Reaktion).
Mit diesem Blog beende ich das Thema Emotionen. Es folgt nun eine Sommerpause. Im August werde ich mit dem Thema Selbstwert/Selbstvertrauen weiterfahren.
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Thema Emotionen: Der emotionale Stil
Jeder Mensch hat seine eigene Art, wie er mit den Emotionen umgeht. Folgende Haupt-Kriterien kennzeichnen meinen individuellen emotionalen Stil:
- Wie häufig nehme ich die einzelnen wichtigsten Grundemotionen (Freude, Angst, Wut, Trauer)
- Wie intensiv nehme ich sie wahr.
- Zeige ich die wahrgenommene Emotion auch gegen aussen oder behalte ich die Emotion in meinem Innern. (Dabei spielen meine konkreten Vorstellungen eine Rolle, welche Emotionen man gegen aussen zeigen darf und welche nicht. Das Zeigen von Emotionen ist auch stark kontextabhängig.)
Selbstverständlich gibt es noch zahlreiche andere Kriterien. Die hier genannten sind wie erwähnt Haupt-Kriterien.
Der emotionale Stil ist nicht angeboren, sondern jeder Mensch entwickelt ihn im Laufe seines Lebens. Meistens sind es wiederholte, sich ähnliche Lernerfahrungen, aus denen eine Art Muster gebildet wird. Das Muster bewirkt in der Regel, dass schmerzhafte Emotionen vermieden werden. Es werden Vermeidungs- und Schutzstrategien gelernt und angewandt. Ein Schutzmechanismus zum Beispiel ist, dass eine der Grundemotionen eine andere Emotion, die schmerzhaft ist, überdeckt. Hierfür ein Beispiel: Eine Frau ist sehr traurig, weil eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen ist. Die grosse Trauer verdeckt eine ebenso grosse Wut, weil der Partner sie hintergangen hat.
Jan Glasenapp empfiehlt in seinem Buch „Emotionen als Ressourcen“ folgenden emotionalen Stil zu entwickeln: Mit einem Stil, in dem alle Grundemotionen differenziert und zu mehr oder weniger gleichen Anteilen empfunden werden, wird das Potential und die Ressourcen der Emotionen am besten genutzt. Dies ist die Grundlage für einen flexiblen Umgang mit Emotionen. Die innere Verfügbarkeit von Alternativen in der emotionalen Reaktion bildet die Grundlage, um je nach Situation in einem emotionalen Gleichgewicht zu bleiben. Ist der persönliche emotionale Stil stark durch Muster geprägt, so benötigt es in der Regel eine professionelle Begleitung, um einen flexibleren Umgang zu entwickeln und einzuüben.
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